Der Graben zwischen den USA und Europa wird immer tiefer. Inzwischen gilt: Je energischer Trump etwas fordert, desto eher bekommt er es nicht. Ein Kommentar.
Vor einigen Wochen sah es sehr schlecht aus für Nord Stream 2. Die Ostseepipeline, die russisches Gas direkt nach Deutschland bringen soll, geriet immer stärker unter Druck, die Bundesregierung schien isoliert zu sein. Polen, die baltischen Republiken und die Ukraine verschärften ihre Kritik, die EU-Kommission torpedierte das Projekt, da es ihrer Ansicht nach die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas erhöht, das EU-Parlament hatte einen Baustopp verlangt, beide Gremien fordern seit langem eine Verschärfung der Gas-Richtlinie, dieser Forderung schloss sich schließlich auch Frankreich an. Die Gegner von Nord Stream 2 frohlockten und prophezeiten das baldige Ende des Projekts sowie der deutschen Regierung eine krachende Niederlage.
Doch es kam anders. Bundesregierung, EU-Kommission, Europäischer Rat und EU-Parlament einigten sich im sogenannten Trilog-Verfahren zwar auf eine Verschärfung der europäischen Gas-Richtlinie, was Deutschland ursprünglich hatte verhindern wollen, aber die Konsequenzen, die sich daraus für Nord Stream 2 ergeben, sind sowohl für Russland als auch Deutschland verkraftbar. Rein theoretisch können nun auch Dritt-Unternehmen die Nutzung der Pipeline beantragen, was praktisch allerdings wegen des Verlaufs der Röhren kaum umsetzbar sein wird. Die verlangte Trennung der Pipeline wiederum zwischen Eigentümer und Lieferant könnte Moskau veranlassen, die Eigentümerrechte einfach von Gazprom auf Rosneft zu übertragen.
Mit anderen Worten: Nord Stream 2 wird jetzt definitiv gebaut, diesmal abgesegnet durch die entscheidenden Gremien der Europäischen Union. Die Gegner gucken buchstäblich in die Röhren, Deutschland hat sich in den wesentlichen Punkten durchgesetzt.
Man kann eben auch Teilniederlagen als Sieg verkaufen.
Zum einen war offenbar die Einsicht gereift, dass Nord Stream 2 beileibe kein rein deutsches Projekt ist. Neben Wintershall und Uniper sind daran auch OMV (Österreich), Royal Dutch Shell (Niederlande und Großbritannien) sowie Engie (Frankreich) beteiligt. Auch Belgien, Griechenland und Zypern unterstützen das Projekt. Isoliert war die Bundesregierung nie.
Zum anderen darf sich die Bundesregierung für den Stimmungsumschwung wohl bei Richard Grenell bedanken, dem amerikanischen Botschafter in Deutschland. Der schrieb geharnischte Briefe, drohte mit Sanktionen, polterte und warnte mit einer Intensität, die viele in Europa sowohl er- als auch abschreckte. Am Ende fand sich kaum noch ein Kritiker, der mit dem hyperventilierenden Feuerkopf gemeinsame Sache machen wollte. Grenell überzog mit seinen Vorhaltungen dermaßen, dass er viele Europäer widerwillig und zähneknirschend in die Einigung mit Deutschland und gegen die USA trieb.
Aus: Tagesspiegel