Toll Collect wird verstaatlicht
Das LKW-Mautunternehmen Toll Collect wird für einen unbestimmten Zeitraum verstaatlicht. Hintergrund ist ein Rechtsstreit des Bundes mit den derzeitigen Eigentümern. Er behindert die Neuvergabe der Konzession. Deshalb springt der Staat als neuer Eigentümer ein, erklärt das Bundesverkehrsministerium.
Beinahe unbemerkt von der bundesdeutschen Öffentlichkeit schwelt seit nunmehr 13 Jahren ein Rechtsstreit vor sich hin, der bis heute eine dreistellige Millionensumme verschlungen hat. Der Streitwert des Falls übersteigt damit den Umsatz des betreffenden Unternehmens bereits um das Dreifache. Alle Merkmale eines großen Wirtschaftsskandals sind gegeben. Er muss nur noch ausbrechen. Das könnte schon bald geschehen.
Eine Vorstufe erlebt die bundesdeutsche Öffentlichkeit gerade. Die Mautbetreiberfirma Toll Collect wird zum 1. September 2018 verstaatlicht. Einen Tag vorher läuft der Vertrag mit dem bisherigen Betreiberkonsortium von Toll Collect aus. Das sind die Deutsche Telekom, Daimler und die französische Firma Cofiroute, die in Frankreich Maut auf Autobahnen erhebt.
Toll Collect unterhält etwa 300 Mautbrücken und rund 450 mobile Kontrollstellen an deutschen Autobahnen und Bundesstraßen. Doch die Firma hat seit der ersten Minute ihrer Existenz mit Problemen zu kämpfen, die auch in den erwähnten Rechtsstreit führten. Wegen technischer Unzulänglichkeiten konnte erst mit 16 Monaten Verspätung begonnen werden. Es stellte sich heraus, dass die Firma in einer Art und Weise mit dem Bund verhandelt hatte, die der Bund als Täuschung bezeichnet. Eine Klage vor einem Schiedsgericht im Jahr 2005 war die Folge.
Doch die eigentliche Rechnung dürfte erst jetzt, dreizehn Jahre später präsentiert werden. Denn der bis heute andauernde Zwist behindert die Neuvergabe der Betreiberkonzession. Die ist zwingend, weil das bisherige Betreiberkonsortium ohne eine Neuausschreibung nicht noch einmal den Zuschlag erhält. Daimler und Telekom waren überdies schon eine Weile nicht mehr an ihren 45%-Beteiligungen interessiert.
Schon 2012, drei Jahre vor dem Ende der zehnjährigen Laufzeit, gab es Überlegungen im Bundesverkehrsministerium, die Option der Verstaatlichung zu ziehen, um die Maut-Einnahmen für die Gemeinschaft der Steuerzahler zu sichern. Doch die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP war dagegen. Stattdessen wurde 2014 die Option einer dreimaligen Vertragsverlängerung um jeweils ein Jahr gewählt. Ob das wie ein Damoklesschwert über allem schwelende Schiedsverfahren, das sich im Hinblick auf die Schadenssumme immer weiter aufblähte, der Grund für die Zurückhaltung war, kann niemand mit Bestimmtheit sagen.
Nun ist eine Neuausschreibung notwendig, bestätigt das Bundesverkehrsministerium auf Anfrage von Sputnik: „Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) führt derzeit ein europaweites Verfahren zur Vergabe der Geschäftsanteile an der Toll Collect GmbH und zum Abschluss eines neuen Betreibervertrages durch. Die Zuschlagsentscheidung soll voraussichtlich Mitte 2018 erfolgen. Laufende Vergabeverfahren unterliegen gemäß § 5 Vergabeverordnung der Vertraulichkeit. Zu Einzelheiten des Verfahrens kann deshalb nicht Stellung genommen werden.“
Die Zuversicht des Bundesverkehrsministeriums, dass Mitte 2018 ein neuer Betreiber oder gar ein Betreiberkonsortium präsentiert werden kann, scheint allerdings nicht sehr ausgeprägt, wenn gleichzeitig mitgeteilt wird: „Wie in der Vergangenheit kommuniziert, wird der Bund die Anteile an der Betreibergesellschaft zum 01.09.2018 übernehmen und die Anteile an den erfolgreichen Bieter, der im Vergabeverfahren den Zuschlag erhalten hat, veräußern.“ Möglicherweise ist auch hier der schwelende Rechtsstreit die Antwort auf einige Fragen.
kommt damit die Verstaatlicht der Bund Maut-Milliardenschulden?
Der offizielle Start der LKW-Maut in abgespeckter Form war der 1. Januar 2015 – mit mehr als 16 Monaten Verzögerung. Schon im Juli 2015 wurde ein Schiedsgerichtsverfahren eröffnet. Streitwert: 5,1 Milliarden Euro, also bereits da ein Mehrfaches eines Jahreserlöses!
Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, um nicht zu sagen unerklärlich, dass der Bund einer Firma, mit der er sich seit Geschäftsbeginn im Rechtsstreit über Milliardensummen befindet, dennoch unbekümmert immer weitere Aufgaben der Mauteinziehung überträgt. Die Vertragslaufzeit wurde bis zum letztmöglichen Schluss ausgedehnt. Der Bund gewährte damit Renditegarantien in Millionenhöhe, statt die Firma sofort als Pfand einzubehalten.
Der gesamte Vorgang erinnert an die mehr oder weniger eleganten Verschiebebahnhöfe, mit denen nach dem Ausbruch der Finanzmarktkrise 2008 ehemals private Spekulationsrisiken von Banken, Hedgefonds und Versicherungen der Gemeinschaft der Steuerzahler aufgebürdet wurden. Denn wenn der Staat am 1. September den Maut-Einsammler übernimmt, tritt die bizarre Situation ein, dass der Staat gegen sich selbst Forderungen stellt. Unter solchen Konstellationen wird kaum ein neuer Anteilseigner gefunden werden. Und die Frage bleibt, wie der Bund sicherstellt, dass er mit der Übernahme von Anteilen von Toll Collect nicht auch deren Schulden übernimmt. Denn die Forderungen des Bundes sind buchhalterisch Schulden.
Spätestens an dem Punkt dürfte Toll Collect dann erneut mit dem unschönen Wort „Wirtschaftsskandal“ in Verbindung gebracht werden.