Im offiziellen DDR-Jargon galt Greifswald als blühende Stadt der Kernenergie, der Elektronik und der Wissenschaften. Doch die Wirklichkeit sah anders aus.
Etwa 140 Aufnahmen von Robert Conrad, der im letzten Jahrzehnt der DDR - von der Stasi misstrauisch beobachtet - mit Kleinbildkamera und kritischem Blick durch die Altstadtgassen seiner verfallenden Heimatstadt wanderte, zeichnen ein düsteres Bild von einer völlig verfehlten Baupolitik.
Selbst alteingesessene Greifswalder dürften aus heutiger Sicht beim Anblick der Aufnahmen erschüttert sein über das damalige Ausmaß des flächendeckenden Verfalls, sagt Museumsdirektor Uwe Schröder. Auf den größtenteils in Schwarz-Weiß gehaltenen Großabzügen sind windschiefe schmutzige Fassaden, schadhafte Dächer, von Schutt überzogene Straßen und Hinterhöfe, Abrissbirnen und Litfaßsäulen mit Losungen vom sozialistischen Aufbau zu sehen.
"Es war das Schlachten einer historischen Altstadt, die im Zweiten Weltkrieg dank der kampflosen Übergabe unzerstört geblieben war", sagt Conrad, der sich zu DDR-Zeiten mit seinen alternativen Ansichten zum industriellen Plattenbau vergebens um ein Architekturstudium in Weimar beworben hatte.
Greifswald galt in den 1980er Jahren ebenso wie Gotha und Bernau als Pilotstadt für den Stadtumbau. Es habe an Material, aber auch an Fachkräften gefehlt, die Dachstühle sanieren oder Schwammbefall ausmerzen konnten, sagt Kurator Kai Kornow, der mit der Wende eine Bürgerinitiative zur Altstadtrettung gegründet hatte. Die Baustadtplaner hätten in den letzten Jahren der DDR erkannt, dass mit den verfügbaren Mitteln sowieso kaum noch etwas zu retten gewesen sei. Deshalb wurden ganze, verfallene Stadtquartiere abgerissen und durch eine modifizierte Plattenbebauung ersetzt.
Dass es auch andere Pläne gab, mit gänzlich neuen Hochhaus-Straßenzügen auf einer plattgewalzten Altstadt, zeigen Unterlagen und beängstigende Architekturkonzepte in einer kleinen ergänzenden Ausstellung. Zugleich dokumentieren Veröffentlichungen wie in der Zeitschrift "Neue Heimat", dass das Abriss- und Neubaugeschehen in Greifswald im Westen nicht nur auf Kritik, sondern durchaus auch auf Interesse gestoßen war. Man dürfe nicht ausblenden, dass der Wert der Altbausubstanz damals auch in der BRD oder zum Beispiel in Schweden weit weniger geschätzt worden sei als heutzutage, sagt Conrad.
Den Honecker-Besuch zur Wiedereinweihung des Greifswalder Doms in 1989, als für den Stadtrundgang Fassaden von Ruinen getüncht worden waren, habe er nur aus der Ferne erlebt. Heute mache es ihm Spaß, wieder nach Greifswald zurückzukehren, sagt er. "In der Altstadt ist baulich so viel passiert seit der Wende."