Aufstand 17. Juni 1953

#1 von Julius , 16.06.2018 14:13

Nun jährt sich wieder der 17.Juni- dieser Aufstand spaltet immer noch in Ostdeutschland die Gemüter. Arbeiteraufstand und vom Westen gesteuerte Konterrevolution können im Grunde unterschiedlicher nicht sein.
Eine Meinung dazu:
http://www.nachrichtenbetriebsamt.de/17Juni.htm


 
Julius
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RE: Aufstand 17. Juni 1953

#2 von Gerald , 16.06.2018 14:33

Der Strausberger Zeitzeuge Horst Raabe (89) erinnert sich an diese turbulenten Tage. Er sagte:
Der 17. Juni, Mann was wir da erlebt haben, das will doch heute keiner mehr hören.
Und gab such einen Ruck:
Er ging als Maurer 1949 nach Berlin. Dort wurde er 1053 zum Wohnungsbau von Wohnblöcken eingesetzt.
" Wir mussten die Deckenbalken für die oberste Decke unterm Boden montieren. Die waren 7 Meter lang und aus Beton. Sie wurden mit der "Hexe" nach oben gezogen.
Dann mussten wir die Balken mit Holzrollen in den Rohbau schieben und mit 10 oder 12 Mann an seinen Plazu hieven."
Die Schinderei habe sie so fertig gemacht, dass sie bereits am frühen Nachmittag nicht mehr konnten. Aber dann wurden auch noch die Normen erhöht. Die Stimmung auf dem Bau wurde mies und mies.
Der Brigadier sagte am 16. Juni " so gehts nicht mehr weiter. Ich fahre jetzt zu einer Aussprache über die Normen in die Stalinallee.
Mittags war der Brigadier wieder zurück und hat abgewunken. " Wir haben garnichts erreicht. Packt ein, wir treffen uns am Haus der Ministerien".
Die Bauarbeiter haben dann die Baustelle verlassen und sind mit der U-Bahn zur Wilhemstrasse gefahren. Dort war der Vorplatz bereits voller wütender Menschen.

Horst Raabe meinte darauf: Wenn heute einer sagt, dass wäre alles vom Westen angezettelt worden, dann ist das Quatsch. Wir haben überhaupt keine Verbindungen nach dem Westen gehabt. Das der Westen das dann breit ausgewalzt hatte, war eine andere Sache.

Als die Bauarbeiter vor dem früheren Reichsluftfahrtministerium ankamen, skandierten dort bereits die Massen " Wir wollen Walter Ulbricht sehen".
Aber er kam nicht und die Bauarbeiter standen wie blöd in der Sonne des heißen Tages.

Doch dann trat aus der Tür der Minister für Schwerindustrie Fritz Selbmann, siieg auf einen bereitgestellten Tisch und verschaffte sich Gehör.
Er begann mit "Liebe Kollegen" und die Masse rief " wir sind nicht deine Kollegen" und holten ihn von dem Tisch. Daraufhin verschwand der Minister wieder ins gesicherte Gebäude.
Später kamen dann noch die "Genossen" und wollten mit uns diskutieren. Die wurden am Arm gepackt und weggeschoben. Dann kamen erste Rangeleien und Prügel auf. Einer in Maurerkluft stieg auf den Bürotisch und rief " das Theater machen wir nicht mehr mit, Das lassen wir uns nicht bieten. Wir rufen zum Generalstreik!".

Die Bauarbeiten haben sich dann zum Demonstrationszug formiert und sind die Frichdrichstrasse in Richtung S-Bahnhof gelaufen.
In einer Seitenstrasse habe ein Polizei-Lautsprecherwagen gestanden und mit der Duchsage "Liebe Kollegen" sein Glück versucht.
Da sind ein paar Arbeiter hin und haben die Volkspolizisten aus dem Auto geholt und sind dann mit dem Auto dem Demo-Zug voran gefahren und riefen über die Lautsprecher zum Generalstreik und zum Treff am nächsten Tag auf dem Strausberger Platz.

Am Morgen den 17. Juni stieg die ganze Brigade in Lichtenberg in die U-Bahn und fuhr zum Strausberger Platz. Unterwegs erfuhren sie, die Bahn hält nicht an der Station Strausberger Platz. Also eine Station früher aussteigen und zum Strausberger Platz laufen. Doch dort angekommen, waren die meisten der Demonstranten schon wieder weg. Ziel: Potsdamer Platz.
Also alle mit der U--Bahn zum Alex und von dort zu Fuß zum Potsdamer Platz. Dort war der Tumult schon im Gange. Aus einem großen Bürogebäude flogen die Akten, Feuer brannten, die Stimmung war aufgeheizt.
" Wir randalierten und machten Spektakel, da wurde auch schon mal einer zusammen geschlagen".
Autos wurden angehalten und Funktionäre aufgefordert ihr Parteiabzeichen vom Revers zu nehmen. Doch dann rückte Polizei mit Gewehren an.
Raabe hat zu einem gesagt: Warum richtet ihr nicht die Gewehre in die andere Richtung ?
Antwort: Weisst du was dann hier losgeht ? Besser nicht.

Mittags kamen die sowjetischen Panzer.
Nach den ersten Warnschüssen haute Raabe ab. Die Sache wurde ihm zu heiß.
Er fuhr mit der U-Bahn über Westberlin bis Warschauer Strasse und lief bis Lichtenberg. Aber am 17. Juni fuhren keinen Bahnen mehr. So lief er weiter und bis zum Morgengrauen bis Fredersdorf/Nord, das damals noch Altlandsberg Süd hieß.
Er war 24 und hatte dort sein zu Hause mit einer schwangeren Frau.

Frei nach MOZ und Redakteur Jens Sell


 
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RE: Aufstand 17. Juni 1953

#3 von Richard , 16.06.2019 18:45

Fast jedes Jahr die selben Ansätze:
Wollte die DDR-Bevölkerung bereits 1953, vier Jahre nach der Gründung der Republik, die deutsche Einheit? Wagte sie deshalb am 17. Juni 1953 einen „Volksaufstand“ gegen die SED, wie es die Bundesregierung bis heute behauptet?

Ein Prof. Roesler dazu:

An diesem Tag haben sich vor allem die Arbeiter als Hauptbetroffene gewehrt gegen das, was damals Sparpolitik genannt wurde und heute Austeritätspolitik heißt – also ein ganz normaler Fall in der Geschichte, in dem Fall die DDR betreffend. Im Vergleich: Die Bundesrepublik bzw. die westliche Bizone von USA und Großbritannien hat dasselbe erlebt, bis hin zum Eingreifen des Militärs.
Das war im Herbst 1948, als durch die Währungsreform und die Abschaffung der Festpreise die Preise zum Beispiel für Konsumgüter mit einem Mal in die Höhe schossen und die Löhne ungefähr gleich blieben. Es gab einen Protest-Streik in der US-amerikanisch-britischen Bizone im November 1948. Und es gab die sogenannten Stuttgarter Vorfälle im Oktober 1948, wo die Arbeiter mit Gewalt vorgingen und die US-Truppen eingreifen mussten.

Ich würde es mit dem DDR-Kenner Dietrich Staritz „Arbeiter-Rebellion“ nennen, denn sie kämpften gegen die Verschlechterung ihrer Lage. Die war eingetreten durch die Verringerung des Lohnes in Folge von Normerhöhungen. Die Normen waren aber nicht so hart wie im Kapitalismus, sondern ein bisschen weicher. Die SED-Führung entschloss sich dazu in einer schwierigen Situation in Folge der Aufrüstung, zu der die DDR verdammt wurde, nachdem Stalin den Plan aufgegeben hatte, ein gesamtes, neutrales Deutschland zu erreichen, siehe die sogenannte Stalin-Note von 1952. Das war also der Ausgangspunkt: Mit einem Mal sollten die Arbeiter für dasselbe Geld mehr arbeiten. Doch die Arbeiter haben gesagt: „Wir denken nicht daran!“ Sie waren gegen die Normen, weil sie direkt in ihren Lebensstandard eingriffen. Daraufhin wurde verordnet, die Normen sind um soundsoviel Prozent zu erhöhen. Dann kriegen sie weniger Geld. Da sind die Arbeiter dann auf die Straße gegangen.

Als die Regierung nicht auf die ersten Proteste reagierte, ohne Verständnis für die Lage der Arbeiter, erst da springt das um. Da wurde dann gesagt: Wenn diese Leute sowas machen, dann müssen sie weg! „Spitzbart, Bauch und Brille sind nicht des Volkes Wille“ war einer der Losungen dann. Das hieß: Wir brauchen eine neue, eine andere Regierung. Die Wiederherstellung des Privateigentums und des Kapitalismus ist nicht gefordert worden.

Eine Nebengeschichte ist, dass die SED auch gegen die Privateigentümer vorging, die es in der DDR damals mehr gab als in anderen Ländern Osteuropas in dieser Zeit. Das geschah im Rahmen des 1952 verkündeten Aufbaus des Sozialismus. Das geschah nun ausgerechnet auch noch im Konsumgüterbereich, im Dienstleistungsbereich und im Handwerk. Das traf dann also doppelt. Die Veränderung der Eigentumsverhältnisse ging in die gleiche Richtung wie die Verschlechterung der Lage durch Rüstungsanstrengungen.

Aber gegen diese Rüstungsforderungen konnte sie erst einmal nichts machen. Sie war nicht mehr Herr der Lage. Die DDR musste die Nationale Volksarmee (NVA) und die bewaffnete Grenzpolizei aufbauen. Es ist wie heute in der internationalen Spar-Politik, von der Länder getroffen werden: Was soll die Regierung machen?

Chruschtschow hatte dann nach 1953 ein anderes Konzept für die DDR. Das hat sich dann auch im „Neuen Kurs“ ausgezahlt. Das Konzept war: Nachdem ja die Sowjetunion die Wasserstoff-Bombe hatte, 1952, geht es nicht mehr ums Wettrüsten, weil das alle beide total kaputt gemacht hätte. Jetzt ging es darum, wer wirtschaftlich überlebt.

Dann haben die gesagt: Die DDR müssen wir unterstützen. In der wirtschaftlichen und technologischen Auseinandersetzung kommt bei denen, wenn wir da jetzt Geld reinstecken und ihnen ihre Zwänge wegnehmen, am meisten raus. Chruschtschow hat also sehr großzügig die DDR gefördert. Ohne die großzügige Hilfe aus der Sowjetunion war in der DDR nur wenig möglich. Sie spielte auch später eine große Rolle, auch negativ.

Der Einfluss des Westens war insofern sehr groß, dass der RIAS ab März 1953 Sendungen zur Normenfrage gebracht hat. Er hatte damit eine Hintergrundfunktion. Er hat das ja nicht erfunden. Er wäre mit der Normenfrage als Thema völlig daneben gelandet, wenn es das Problem im Osten nicht gegeben hätte. Der Sender hat das Problem aufgegriffen und für alle verständlich dargestellt und hat natürlich damit mobilisiert. Es gab ja keine zentrale Organisation der Streikenden. Das hat der RIAS ersetzt, mit Ansagen der Orte der Demonstrationen, Uhrzeiten. Das ging bis ins Einzelne.

Selbst Willy Brandt betonte 1955 in seiner Schrift „Arbeiter und Nation“, es habe am 17. Juni 1953 nirgends eine restaurative Tendenz unter den Arbeitern gegeben, dafür durchaus unzweideutige Vorbehalte gegenüber der westdeutschen Politik. Den Demonstranten sei es keinesfalls um eine einfache Angliederung der DDR an die Bundesrepublik gegangen, meinte Brandt. Das stammt immerhin von einem westdeutschen Politiker, der dicht dran war. Deshalb komme ich zu dem Schluss: Es war eine Arbeiter-Rebellion, aber keine Revolution oder „Aufstand gegen das Regime“.

Dieses SED-Bild vom „konterrevolutionären Putsch“ hat später jede vernünftige Aufarbeitung in der DDR verhindert, das muss man dazu auch sagen. Der Westen hatte seine falsche Aufarbeitung und der Osten hatte seine auch.

Es war ihre erste schwere innere Krise, nicht nur aus inneren Ursachen, die sie löst. Die nächste Krise, die 1961 ihren Höhepunkt erreichte, war darauf zurückzuführen, dass es offensichtlich wurde, dass die Aufholziele des 1959 in Kraft getretenen Siebenjahrplanes (1959-1965) auf keinen Fall erreicht werden konnten, nämlich die Bundesrepublik einholen zu wollen. Da sind die inneren Fehler viel größer als am 17. Juni 1953. Dem folgte die Krise 1969/70, wo der Teil der SED-Führung unter Erich Honecker Ulbrichts Sparpolitik, der damit den wissenschaftlich-technischen Fortschritt bezahlte, beendete.

Die nächste Krise wird ganz deutlich 1981 mit den Folgen des Erdölpreis-Schocks und der Tatsache, dass die DDR auch mit einer klugen Politik nicht in der Lage ist, die zu beseitigen. Die letzte Krise ist die Lähmungs-Krise ab Mitte der 1980er Jahre, nachdem es wegen der internationalen Preisentwicklung nicht gelungen ist, aus der Verschuldung rauszukommen, was dann wieder zur Verschlechterung der Lebenslage führte.


Prof. Dr. sc. oec. Jörg Roesler (Jahrgang 1940) war von 1974 bis 1991 Bereichs- bzw. Abteilungsleiter am Institut für Wirtschaftsgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Er hatte 1992 eine Gastprofessur an der McGill-University in Montreal, 1994/95 in Toronto, Kanada. Bis 1995 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Zentrums für Zeithistorische Studien, Potsdam, danach arbeitslos, ab 1999 selbständig. Er hielt Vorlesungen im Fach Volkswirtschaft an der Universität der Künste, Berlin-Charlottenburg. 2006 hatte er eine Gastprofessur an der Portland State University/USA (Sommersemester). Roesler ist Mitglied der Leibniz-Sozietät.

 
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