Rügen-Hotel: Fliegende Fische im Nobel-Restaurant
Vor 50 Jahren wurde mit dem Bau des Rügen-Hotels begonnen. Dessen internationale Gäste brachten ebenso Devisen wie die schwedischen Bauleute. Episoden aus dem einst ersten Haus am Platze tauschen ehemalige Mitarbeiter bei einem Treffen aus.
In der DDR war es eine der Top-Adressen in den drei Nord-Bezirken: Das Sassnitzer Rügen-Hotel genoss nicht nur bei den Inlands-Urlaubern einen guten Ruf. Es war einer der wenigen Anlaufpunkte für ausländische Gäste auf der Insel. 1968 wurde mit dem Bau des Hochhauses in der neuen Stadtmitte begonnen. 50 Jahre später treffen sich ehemalige Mitarbeiter der einstigen Nobel-Herberge und sind genau dort zu Gast, wo sie jahrzentelang alles zum Wohle der Besucher getan hatten.Es ist nicht das erste Treffen dieser Art, das Petra Stahnke und Henning Dost für ihre ehemaligen Kollegen organisieren. Da mag ein bisschen Wehmut mitschwingen, wenn die früheren Köche, Kellner, Rezeptionisten und Reinigungskräfte zusammenkommen. Vor allem aber ist da immer auch etwas Stolz, wenn sie an die Glanzzeiten des früheren Mitropa-Hotels zurückdenken. „Das war in erster Linie für skandinavische Transitgäste, ausländische Urlauber, aber auch für die so genannten Genex-Besucher, also DDR-Bürger, die D-Mark in der Tasche hatten, gebaut worden“, sagt Henning Dost. Er war einer der Geschäftsführer des Hauses, das im Juni 1969 eröffnet wurde und ein Niveau bot, wie es in den üblichen FDGB-Häusern nicht zu finden war. Das fing bei der Hotelausstattung an, reichte über den Service und das umfangreiche Angebot an Speisen und Getränken bis hin zu einem Wellnessbereich und einem Autopflegedienst in der Tiefgarage. Nein, sagt Henning Dost, das Haus war keine vom Rest der Alltagswelt isolierte Insel. Ab Mitte der 70er Jahre konnten hier auch DDR-Bürger über den FDGB zu erschwinglichen Preisen Urlaub machen. Und auch viele Sassnitzer haben vor allem das Restaurant und die legendäre Bar im 9. Stock schätzen gelernt. Aber: Ein Besuch im Rügen-Hotel war und blieb immer etwas Besonderes. „Suchen Sie doch heute mal ein Haus auf der Insel, wo dem Gast im Restaurant englisch oder französisch vorgelegt wird!“, nennt Dost ein Beispiel aus dem Service-Bereich.
Für die Gäste-Klientel hatte die Mitropa AG seinerzeit händeringend nach Fachpersonal gesucht. Die ersten Kollegen wurden von den bestehenden Inter-Hotels und anderen führenden gastronomischen Betrieben des Landes angeworben. Gelockt wurde Job-Perspektiven, Aufstiegschancen, aber auch mit dem damals knappen Wohnraum. „Zu festgelegten Zeiten konnten die Mitarbeiter auch den Swimmingpool des Hotels nutzen“, erinnert sich Dost. In einer eigenen Kantine wurde dem Personal das Essen serviert – Mittag, Abendbrot und ein Kaffee für je 50 Pfennig. Personalkleidung wurde gestellt und auch gewaschen. Henning Dost lächelt und zieht die Augenbrauen ein wenig hoch: „Ja, saubere Wäsche war Pflicht. Das wurde ebenso kontrolliert wie die Fingernägel.“25 Lehrlinge pro Jahr begannen anfangs ihre Ausbildung in dem ersten Haus am Platze. Die Lehrstellen waren begehrt, auch wenn die Lehrzeit hier kein Zuckerschlecken war. „Es ging sehr streng und kontrolliert zu“, sagt Henning Dost, der selbst hier lernte, „aber man kümmerte sich um uns Lehrlinge.“ Viele bekamen später einen Anschluss-Vertrag und blieben, andere machten ihren Meister oder gingen zum Studium an die Hotelfachschule nach Leipzig oder wechselten auf die Eisenbahnfähren nach Schweden und Dänemark. Auch dort ging es seinerzeit nobel zu: Henning Dost hat eine so genannte Escoffier-Platte gefunden, die die Prägung des alten Fährschiffs „Sassnitz“ trägt und dort in der Küche beziehungsweise im Service verwendet wurde.
Auch in einem so exquisiten Haus ging nicht immer alles glatt, gesteht Henning Dost. „Das ist doch klar, bei dem Andrang.“ 160 Plätze hatte das Restaurant, in das man in der Regel nur mit Reservierung kam. Mehr als einmal waren alle Plätze doppelt vergeben. Dost erinnert sich an Gäste, deren Tisch nicht wie bestellt zu 20 Uhr frei war. Als dann anderthalb Stunden später endlich der gewünschte Rehrücken an ihrem Tisch tranchiert wurde, rutschte der von der Platte auf den Boden des Lokals. In Windeseile musste in der Küche ersatzweise ein anderer, bereits fertiger Braten aufgeschnitten werden.Ähnlich erging es der Lehrausbilderin Annemarie Müller. Sie war eines Tages mit einer Forelle „Müllerin Art“ auf dem Weg von der Küche zum Tisch der Gäste im Restaurant. Dabei mussten alle Kellner eine Pendeltür passieren. „Dieser Pendelbereich war regelmäßig ein Unfallschwerpunkt“, erzählt Henning Dost lachend. Auch bei Annemarie Müller schepperte es: Sie stieß mit einer Kollegin im „Gegenverkehr“ zusammen. „Die Forelle landete in einer der Palmen, die neben der Pendeltür standen.“
Zwei Häuser standen einst auf dem Areal des heutigen Rügen-Hotels. Das Wohnhaus des Fährschiffkapitäns Thesenvitz wurde beim Bombenangriff auf Sassnitz im März 1945 zerstört. Die benachbarte Villa „Wachtmeister“ diente auch nach dem Kriegsende noch als Wohnhaus. Sie musste dem Hochhaus weichen und wurde abgerissen.
1968 wurde mit dem Bau des Rügen-Hotels durch den schwedischen Konzern SIAB begonnen. Ein Jahr später wurde das Hochhaus mit den neun Etagen eröffnet. Es galt als ein Hotel der Sonderklasse (entspricht heute Vier-Sterne-Niveau), hatte 220 Betten, ein Hotelrestaurant mit 160 und eine Cafeteria (später Stadtrestaurant) mit 120 Plätzen. 150 Gäste fanden in der Tanzbar mit dem Außenbalkon Platz; dazu gab es noch eine Hotelbar mit Musikbox, einen Intershop und eine Tiefgarage mit Auto-Service, einen beheizbaren Außenpool, der später überdacht wurde, einen Friseur und das Cafe im 9. Stock.
Der Hoteldirektor Bernd Reichel aus Sassnitz leitete das Haus von 1968 bis zur Übernahme durch die Raulff-Gruppe im Jahre 1995. Der Mitropa-Fährbetrieb Sassnitz bewirtschaftete neben dem Hotel auch eine eigene Wäscherei sowie das so genannte Stapelhaus, ein Lager mit Fleischerei, Vorbereitungsküche und einer Personalverkaufsstelle, in der auch die Sassnitzer ab und an Produkte kaufen konnten, die es beim Konsum oder der HO nicht gab.
Am 26. Oktober um 18.30 Uhr treffen sich die Mitarbeiter des ehemaligen Mitropa-Hotels im Sassnitzer Rügen-Hotel. Anmeldung (auch per whats App) bis zum 12. 10. unter 0152/34332744 oder per Mail an info@stempel-stahnke.de