Was letztlich zum Zerfall der Sowjetunion geführt hat, ist bis heute im Detail ungeklärt. Wichtig zu verstehen ist, dass die ökonomische Krise nicht ausschlaggebend für den Niedergang der Sowjetunion war. Sie hätte überwunden werden können. Ausschlaggebend war eher mangelnder politischer Wille.
Zweifelsfrei fest steht dagegen, dass der Zerfall einschneidende Konsequenzen hatte. Grenzen wurden quer über den eurasischen Kontinent neu gezogen. Über Nacht fanden sich Menschen, die eben noch in den Grenzen ihres Landes lebten, als Fremde in einem neu gegründeten Staat wieder. Mit der Sowjetunion zerfiel nahezu zeitgleich der Warschauer Pakt. Russland zog seine Truppen zurück. Die aus der DDR abgezogenen Soldaten kehrten in ein Land zurück, das sich schnell und stark wandelte, ihnen nur wenig Sicherheit bieten konnte.
Der Freudentaumel der Wiedervereinigung in Deutschland verdeckte für die Westdeutschen, was ihr Gefühl von Sieg und Überlegenheit überhaupt ermöglicht hatte: der Verzicht der Russen auf Wohlstand, Einfluss und Macht. Die Ostdeutschen hingegen bekamen zügig einen Eindruck davon, was die Wiedervereinigung eigentlich war: eine feindliche Übernahme. Die Wiedervereinigung ist bis heute nicht vollendet und wird es wohl auch niemals werden.
Mit dieser Übernahme der DDR aus einer Siegermentalität heraus ist eine Sollbruchstelle entstanden, an der im Fall einer tiefgreifenden Krise die Bundesrepublik auseinander brechen wird. Die DDR existierte gut 40 Jahre, aber ihre ehemaligen Landesgrenzen sind auf der sozioökonomischen Landkarte der Bundesrepublik auch über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung noch immer deutlich sichtbar. Jener der Wiedervereinigung zugrunde liegende Denkfehler wiederholte sich auf europäischer Ebene. Die Sowjetunion galt als besiegt, ihr Nachfolgestaat Russland hatte sich den westlichen Regeln zu beugen.
Die faktische Marionettenregierung unter Boris Jelzin war dafür ebenso Ausdruck wie die neoliberale Schocktherapie, die verheerende Folgen für die russische Bevölkerung hatte. Der Lebensstandard der Mehrheit der Russen sank deutlich, während gleichzeitig die Oligarchenkaste entstand, die sich politischen Einfluss an allen demokratischen Strukturen vorbei sicherte. Diese Zeit erlebten die Russen in ihrer Mehrheit als Fehlentwicklung, die sich auf keinen Fall wiederholen darf. Das bedeutet aber auch, dass sich die westliche Hoffnung, nach Wladimir Putin werde es einen Wandel in der Beziehung zum Westen geben, nicht erfüllen wird. Eine Wiederannäherung an den Westen, bei dem der Westen Russland erneut seine Regeln diktiert, ist nicht im Interesse der russischen Gesellschaft.