Hingucker im Hafen von Vierow: So funktioniert die Windkraft-Innovation Nezzy²
Die Offshore-Testanlage Nezzy² nahe des Hafens Vierow ist derzeit ein Hingucker für vorbeifahrende Schiffe. Zwei Windturbinen werden von zwei schräg aufgestellten Türmen getragen. Was die Vorteile sind und wann die Technik eingesetzt werden könnte.
Den zwei futuristisch schräg aus dem Wasser ragenden Turbinen würde zumindest ein bisschen Wind ganz gut stehen. Denn hier läuft seit einer Woche ein gemeinsames Forschungsprojekt der EnBW Energie Baden-Würtemberg AG mit dem norddeutschen Ingenieurunternehmen Aerodyn Engineering GmbH. Getestet wird ein 18 Meter hohes Modell, das im Gegensatz zu herkömmlichen Windkraftanlagen nicht mit feststehenden Fundamenten im Meeresboden verankert ist: Nezzy² schwimmt frei – auf einer Tragstruktur in Form eines liegenden Y mit drei Auftriebskörpern, nur mit Leinen und Betonklötzen verankert.
Daraus resultiert einer ihrer großen Vorteile: „Wir können sie in viel tieferem Wasser einsetzen, als das bislang bei Offshore-Anlagen möglich ist. Weit draußen auf dem Meer, wo es starken Wind und damit mehr Leistung gibt“, erklärt Hannah König, Leiterin Wind- und maritime Technik bei der EnBW.
Die promovierte Mathematikerin ist fasziniert von den Möglichkeiten der erneuerbaren Energien im Allgemeinen und Nezzy² im Besonderen. Das Potenzial sei riesig. Neue Länder, neue Meeresflächen seien künftig für den Bau von Anlagen denkbar. Daher unterstütze das Energieunternehmen nicht nur die Entwicklung, sondern plane auch selbst den Einsatz schwimmender Anlagen: „Frankreich beispielsweise hat eine klare Vision, wie es mit Offshore weitergehen soll. Deshalb ist es für uns ein interessanter Markt, mit dem man gut planen kann“, sagt die 38-Jährige.
Wie sehr EnBW an zukunftsträchtigen Konzepten interessiert ist und diese auch verfolgt, verdeutlicht nicht zuletzt die Personalstärke auf diesem Gebiet: Das von Hannah König in Hamburg geleitete Offshore-Windbüro zählt aktuell 160 Mitarbeiter, davon 75 Ingenieure.
Doch bis Nezzy² in Serie gehen kann, ist es noch ein weiter Weg. Das Modell im Maßstab 1 zu 10 wurde zunächst drei Monate lang in einem Baggersee bei Bremerhaven erfolgreich getestet. Während es dort – quasi in relativ geschützter Umgebung – in erster Linie um den Einfluss des Windes ging, steht im Greifswalder Bodden, 650 Meter vom Ufer entfernt, der Wellengang im Fokus der Untersuchung. Eine Ein-Meter-Welle bedeute für den zu fertigenden Prototypen von 180 Metern Höhe einen Wellengang von zehn Metern.
Aber nicht nur den Wellen schenkt Siegfriedsen seine Aufmerksamkeit: „Insgesamt zeichnen wir 180 verschiedene Messdaten auf. Angefangen von den Umweltbedingungen wie Wind, Wellenhöhe und Strömung, bis hin zu verschiedenen Kräften, Beschleunigung, Schiefstellung“, berichtet Ingenieur Siegfriedsen, Geschäftsführer der Aerodyn Engineering GmbH.
„Die mechanische Lösung für Windkraftanlagen an Land ist oft wartungsanfällig“, bemerkt sie. Nezzys Selbstausrichter indes habe im Baggersee gezeigt, dass er gut mit besonderen Windverhältnissen, auch Turbulenzen, klarkommt. Er sei nur in einem Punkt fest verankert. Das wiederum könne zum Problem führen, dass sich das Stromkabel, mit dem die Energie später einmal an Land geführt werde, vertüddelt. Doch auch dafür habe Sönke Siegfriedsen bereits eine Lösung gefunden. Das System könne kurzzeitig ausgedockt werden, um die Kabel zu „enttüddeln“.
Die Testanlage im Bodden produziere im Übrigen keinen Strom. Kommt Nezzy in Serie, seien pro Turbine nach jetzigem Stand 7,5 Megawatt Leistung drin, womöglich sogar 8,3 MW. „Eine Anlage im Windpark Baltic 2 bringt 2,3 MW“, zieht Hannah König einen Vergleich. Baltic 2 ist der Ostsee-Windpark mit 80 Anlagen nordwestlich von Rügen, den der Energiekonzern EnBW seit 2015 betreibt. Vier Jahre zuvor nahm er Baltic 1 mit 21 Anlagen vor Fischland-Darß in Betrieb.
Verlaufen die Tests mit Nezzy² in den kommenden fünf Wochen positiv, werde in China ein weiteres Modell in Originalgröße gebaut. Dort soll es sich dann auch voraussichtlich 2022 beweisen.
Für aussagefähige Messergebnisse im Bodden hofft Aerodyn-Chef Sönke Siegfriedsen daher auf Wind und Wellen in den nächsten Tagen. Alles andere sei bislang gut gelaufen. „Ich bin sehr froh, dass wir diesen Standort für unsere Messungen nutzen können“, würdigt er die gute Kooperation mit dem Hafen Vierow, aber auch mit dem Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Stralsund als Genehmigungsbehörde und dem Germanischen Lloyd, der die Tests ebenso verfolgt.
Bild 1: Nezzy2 in Vierow
Bild 2: Gegenüberstellung der Windmühlen. Links: Baltic 1- Mitte: Baltic 2 - Rechts: Nezzy2