Bis in die Haarspitzen verjüngt: Forscher drehen biologisches Alter zurück
Sie wollten das Immunsystem jünger machen, doch wider Erwarten sollen Forscher aus den USA den gesamten Menschen dabei verjüngt haben. Neben gesenktem Risiko für Prostatakrebs und verbesserten Nierenfunktionen färbte sich dabei sogar das Haar von zwei Probanden dunkler. Und die biologische Uhr sprang um anderthalb Jahre zurück.
Der Thymus ist eine Drüse oberhalb des Herzens, die das Immunsystem des Körpers trainiert, damit es Krankheitserreger effektiv bekämpfen kann. Nachdem sich die Drüse ausgebildet hat, beginnt sie ab der Geschlechtsreife zu schrumpfen. Dieser Prozess hält ein Leben lang an und führt im Alter zu einem immer schwächer werdenden Abwehrsystem des Körpers. Eine stärkere Anfälligkeit für Erkrankungen jeder Art ist die Folge.
Um die Abwehrkräfte wieder anzuheben, forschen Wissenschaftler weltweit an der Verjüngung dieser wichtigen Drüse. Ein Ansatz hat hierbei für besonders viel Aufsehen gesorgt. Es handelt sich um die TRIIM-Untersuchung, die vom kalifornischen Unternehmen „Intervene Immune“ mit Beteiligung von Forschern von der Universität Los Angeles (UCLA) und von der Stanford University durchgeführt worden ist.
Ziel der klinischen Untersuchung waren dabei die Thymusregenerierung, Wiederherstellung des Immunsystems und Insulinsenkung. Zu diesem Zweck haben neun gesunde männliche Freiwillige im Alter zwischen 51 und 65 Jahren eine Wirkstoffkombination eines Wachstumshormons (hGH), einer Substanz, die einem Sexualhormon ähnelt (DHEA) sowie des Diabetesmittels Metformin bekommen. Die beiden letzteren Stoffe sollten dabei vor allem Nebenwirkungen des Thymus-Wachstums in Form von zu hohem Insulinspiegel und Diabetes verhindern.
„Wir haben ein individuelles Dosierungsschema für jeden Patienten entworfen. Die Dosen wurden im Verlauf der Untersuchung nach Blutentnahmen immer wieder angepasst, um Nebenwirkungen zu verhindern und das Potential der Wirkstoffe maximal auszuschöpfen“, teilt der Vorstandsvorsitzende von Intervene Immune, Bobby Brooke, gegenüber Sputnik mit. „Das Hauptziel war eine Regenerierung des Immunsystems oder – in anderen Worten – die Verschiebung des Immunsystems in ein jüngeres Stadium.“
Die Forscher führten Bluttests durch, um Menge und Qualität von Immunzellen zu prüfen, und betrachteten die Thymusdrüsen mittels Magnetresonanztomographie. „Das Thymus-Fett, das in der MRT untersucht wurde, erschien bei allen Teilnehmern durch dichteres Thumysgewebe ersetzt“, betont Brooke. „Es gab ebenso einen Anstieg von „erzogenen“ T-Zellen, die den Thymus verließen. Dabei handelt es sich um jugendlichere Immunzellen, die man als „naive“ CD4- und CD8-T-Zellen bezeichnet.“ In anderen Worten: Die Drüse erschien im MRT verjüngt und mit der Zunahme der „naiven“ Zellen wurde das Immunsystem wieder flexibler, denn diese noch ungeprägten Immunzellen können sich etwa auf neue Krankheitserreger spezialisieren.
Doch zu diesen beabsichtigten Ergebnissen kamen noch unerwartete Effekte hinzu: So soll das Risiko für Prostatakrebs gesenkt worden sein, systemische Entzündungen im Körper, die für gewöhnlich mit dem Alter zunehmen, fielen ab und die Nierenfunktionen besserten sich. Besonders überraschend war aber eine ganz unerwartete Auswirkung der Wirkstoffkombination: Bei zwei Probanden soll das Haar jünger beziehungsweise dunkler geworden sein. Einer dieser Probanden hat dem Unternehmen Bilder zukommen lassen.
Die Sensation: Das biologische Alter soll zurückgegangen sein
Weniger augenscheinlich, aber umso gewichtiger war aber ein Resultat der Behandlung, das tief in den Zellen zu finden war, im Kern, am Erbgut, an der berühmten Doppelhelix der DNA: Dort hatte sich die Zahl der Methylierungen deutlich verringert, wie der Epigenetiker Steve Horvath von der UCLA mithilfe gleich vierer verschiedener Methoden zur Altersbestimmung, sogenannter „Methylierungsuhren“, zeigen konnte. Bei diesem Verfahren wird die Dichte solcher Gruppen untersucht, was Rückschlüsse auf das biologische Alter eines Menschen zulässt. „Mithilfe einer einfachen Blutprobe können diese Uhren das biologische Alter mit größter Genauigkeit angeben sowie das Einsetzen vieler schwerer Erkrankungen und die verbleibende Gesundheits- und Lebensspanne vorherbestimmt werden“, merkt Brooke an. Das Resultat: Die Probanden sollen während der zwölfmonatigen Behandlung um anderthalb Jahre verjüngt worden sein. Wenn man berücksichtigt, dass sie in diesen zwölf Monaten eigentlich um ein Jahr gealtert wären, betrug der Verjüngungseffekt damit zweieinhalb Jahre.
Die Probanden selbst sollen die Behandlung gut angenommen und sich ausgezeichnet gefühlt haben. Dazu gehörten laut Brooke Berichte über größere Stärke, größere geistige Klarheit, gesteigertes Wohlempfinden und verbesserte Wundheilung. Auf der Seite der Nebenwirkungen befanden sich geringe und vorübergehende Störungen wie leichte Gelenkschmerzen.
Wie kam es zur allgemeinen Verjüngung? – Hypothesen
„Die Berichte über dunkler werdende Haare und stärkeres Haarwachstum kamen unerwartet, wir hatten die Haarfarbe nicht verfolgt und mit Fotografien dokumentiert“, betont der Vorstandsvorsitzende von Intervene Immune. Dieser Effekt solle in künftigen Studien untersucht werden. Eine erste Hypothese zum Mechanismus dahinter haben die Forscher allerdings jetzt schon formuliert: „Es ist wahrscheinlich, dass bestimmte Gene oder genetische Programme reaktiviert wurden. Wir wissen zum Beispiel, dass das Gen FOXN1 eine wichtige Rolle bei der Regenerierung und Rückbildung des Thymus spielt. Es ist auch bekannt, dass es eine Rolle beim Haarwachstum spielt.“
Auch wie es zur zurückgedrehten biologischen Uhr gekommen ist, wissen die Forscher nicht. Enzyme, die die DNA-Methylierung umkehren, hatten die Forscher laut Brooke jedenfalls mit ihrer Behandlung nicht adressiert. Aber auch hier gibt es bereits die erste Hypothese: Während der Behandlung kam es zu einem Abfall von Monozyten, was wiederum zum Anstieg des NAD+-Coenzyms geführt haben könnte. Höhere NAD+-Werte weisen auf ein gut funktionierendes Energiesystem der Zellen hin und viele Forschungsgruppen arbeiten daran, diese Werte bei älteren Menschen zu erhöhen. „Die meisten Monozyten exprimieren CD38, das Hauptenzym, das am Sinken der NAD+-Werte beteiligt ist“, erklärt Brook. „Deshalb könnte eine Reduktion dieser Zellen zu einem Wiederanstieg des NAD+ geführt haben.“ Inwieweit diese Hypothese stimmt, müsse aber im Rahmen weiterer Untersuchungen gezeigt werden.
Lässt sich die Lebensuhr beliebig zurückdrehen?
„Unser Ziel ist es, den Abbau des Immunsystems, der bei jedem im Alter auftritt, zu eliminieren“, schildert Bobby Brooke das Ziel von Intervene Immune. Was die Wirksamkeit der getesteten Wirkstoffkombination betrifft, so gelte:
„Es ist gut möglich, dass wir einen noch größeren Nutzen für die Patienten erbringen, wenn wir die Behandlung über einen noch größeren Zeitraum hinweg vornehmen – 15 oder 18 Monate etwa. Wir könnten auch einen größeren Nutzen erzielen, wenn dieselben Freiwilligen erneuten Therapiezyklen durchlaufen würden. Wir könnten zum Beispiel zum Schluss kommen, dass wiederholte Behandlungszyklen etwa alle fünf Jahre ab dem Alter von 50 besonders gut für den Körper sind“, so Brooke.
Dass man damit beliebig an der Lebensuhr des Menschen drehen kann, ist damit aber nicht gesagt: „Es ist bislang nicht bekannt, wie weit wir die Uhr zurückdrehen können. Im Laboratorium können wir in Einzelzellen sehr starke epigenetische Verjüngungen erreichen. Aber klinische Studien bedürfen einer graduellen Annäherung mit vorsichtiger Abwägung von Sicherheit und Wirksamkeit für die Patienten. Anders gesagt, müssen wir vorsichtig prüfen, dass wir nicht zu weit gehen und nicht zu schnell agieren“, so der Forscher.
Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler im US-Bundesstaat Kalifornien Behandlungen anbieten und neue Studien anfertigen. Noch im Verlauf dieses Jahres sollen neue Frauen und Männer als Probanden getestet werden. Die Kosten dieser Behandlungen sollen dabei derzeit 10.000 US-Dollar pro Person betragen.