Wie konnte Israel schon kurz nach dem Zweiten Weltkrieg eine Atombombe bauen? Wer wusste davon? Und wer hat den jungen Staat dabei unterstützt? In ihrem neuen Film legt die Journalistin Gaby Weber neue Beweise dafür vor, dass Kernforscher aus dem Dritten Reich eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben.
In ihrem neuen Dokumentarfilm „Dimona – Geheime Kommandosache“ zeichnet die Journalistin und Buchautorin Gaby Weber den Weg der Atomforschung von ihren Anfängen in Nazi-Deutschland und bis nach Israel in die Wüste Negev nach. „Israels Atombombe – aus dem Nazi-Schoss gekrochen?“ fragt Weber.
Seit 10 Jahren recherchiert Weber, Mitbegründerin der „taz“ und seit 1986 als freie Korrespondentin in Südamerika tätig, zum israelischen Atomprogramm. Es war die Geschichte um die angebliche Entführung des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann durch den Mossad, die sie bei ihrer Recherche in die Archive führte und schließlich auf die Spur des israelischen Atomprogramms brachte.
Dass die Deutschen die Kernspaltung erfunden haben, ist kein Geheimnis. Dass die Wissenschaftler jedoch aktiv und größtenteils bereitwillig an der Entwicklung einer Atombombe für Hitlers Endsieg arbeiteten, kommt erst nach und nach ans Licht. Im Uranverein einerseits und in Thüringischen unterirdischen Anlagen andererseits arbeiteten Forscher wie Carl Friedrich von Weizsäcker und Karl Wirtz an der geheimen Superwaffe. Gaby Weber zeigt in ihrem Film anhand von Schriftstücken der Beteiligten, dass die Forscher sehr wohl wussten, dass ihre Arbeit keinen zivilen Zwecken diente.
Im Sommer 1941 reichte von Weizsäcker das Patent für die Erzeugung des Elements 94 in der Uranmaschine ein. Element 94 ist Plutonium. Er beschreibt darin den wesentlichen Vorteil für die militärischen Einsatzmöglichkeiten. Von Weizsäcker sprach ausdrücklich von einer Bombe und von Explosionen. Es war das Oberkommando des Heeres (OKH), das diese Herstellungsverfahren beim Reichspatentamt angemeldet hatte. Die Wissenschaftler waren also fest in die Kriegsmaschinerie eingebunden, und nicht, wie sie es später darstellen werden, heimliche Nazi-Gegner. Im gleichen Jahr, 1941, reichte Wirtz ein Patent für einen Kernreaktor ein.“
Die genannten Patente galten lange Zeit als verschwunden, so Weber. Nach hartnäckiger Recherche und Druck auf die zuständigen Stellen hat die Journalistin nun ein weiteres wichtiges Puzzlestück gefunden:
„Ich habe jetzt nach Einschaltung meines Rechtsanwalts diese Patente bzw. die Nachweise, die darin stehen, bekommen. Darauf bezieht sich auch der Titel ‚Geheime Kommandosache‘ – das war es im Nazi-Staat. Sie wollten natürlich die geheime Superwaffe haben. Es gibt eine Zeit, von der man nicht genau weiß, wo die Patente dafür waren. Ob die US-Amerikaner sie mitgenommen, selbst ausgewertet und in den 50er Jahren zurückgegeben haben, oder ob sie von Anfang an vor den Alliierten versteckt worden sind. Das ist nicht ganz klar. Aber die Patente liegen jetzt auf jeden Fall wieder vor. 1957 wurde das Ganze von Wirtz, der damals Leiter des Göttinger Max-Planck-Instituts war, einfach nochmal angemeldet.“
Seine Superwaffe für den Endsieg hat Adolf Hitler nicht bekommen. Nazi-Deutschland wurde besiegt. Doch nicht alle NS-Kriegsverbrecher wurden nach dem Zweiten Weltkrieg für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen. Gerade Hitlers Wissenschaftler und Ingenieure erfreuten sich ihrer Vergangenheit zum Trotz einer großen Beliebtheit bei den Siegermächten.
„Es hat auf jeden Fall nach dem Zweiten Weltkrieg oder sogar schon in den letzten Kriegsmonaten einen regelrechten Run auf die deutschen Wissenschaftler und Ingenieure gegeben. Da waren die Siegermächte an erster Stelle, vor allem die USA. Die haben für die Nasa eine ganze Reihe von Nazi-Wissenschaftlern übernommen“, so Weber.
Auch das in den Zweiten Weltkrieg kaum involvierte Argentinien habe nicht leer ausgehen wollen und habe sogar Evita Peron höchstpersönlich in die Schweiz geschickt, um deutsche Wissenschaftler abzuwerben, die sich dorthin zurückgezogen hatten. Viele deutsche Forscher seien dem Ruf gefolgt. Im Gegensatz zu den Nazi-Wissenschaftlern in den USA hätten sie in Argentinien für ihre Arbeit absolut freie Hand gehabt. Auch die deutsche Industrie sei mit von der Partie gewesen.
„Für die deutsche Industrie, die schon in den letzten Kriegsjahren strategisch gedacht und eine Niederlage einkalkuliert hatte, war es insofern interessant, als man nach dem Zweiten Weltkrieg neue Exportmärkte aufbauen musste. Sie brauchten auch unbedingt Rohstoffe. Doch wo sollten sie die herholen? Und das ist dann Argentinien geworden. Hier hat es in Cordoba beispielsweise eine Flugzeugfabrik gegeben. Dort hat Kurt Tank von den Focke Werken mit 60 deutschen Ingenieuren Düsenflugzeuge hergestellt und Raketen entwickelt. Im Grunde genommen haben sie dort weitergemacht, wo sie in Deutschland 1945 aufhören mussten“, so Gaby Weber.
Auch die Atomforschung sei in Argentinien wieder aufgenommen worden. In dem südamerikanischen Land sei nie unterschieden worden, ob sie zivilen Zwecken diente oder nicht. Lange Zeit seien auch die argentinischen Militärs sehr daran interessiert gewesen, ein eigenes Atomprogramm zu militärischen Zwecken aufzubauen. Da habe man natürlich gern auf die Kenntnisse der deutschen Einwanderer zurückgegriffen.
Bereits 1960 spekulierte das Magazin „Time“ über ein geheimes israelisches Atomprogramm. Doch erst 1985 bekam die Welt durch die Enthüllungen des israelischen Nukleartechnikers Mordechai Vanunu Gewissheit: Israel hat die Atombombe.
Doch wie konnte der junge Staat nach dem Zweiten Weltkrieg überhaupt ein eigenes Atomprogramm aufbauen? Woher kamen die Mittel und das Fachwissen? Wer hat davon gewusst, wer dabei geholfen? Gaby Weber erklärt in ihrem Film, dass es Konrad Adenauers BRD war, die hierbei eine entscheidende Rolle gespielt hat. Adenauer habe Deutschland nach allem, was man den Juden angetan hatte, wieder hoffähig machen wollen. 1952 unterzeichnete man hierfür das sogenannte Wiedergutmachungsabkommen, doch das allein reichte offenbar nicht. Im Geheimen entwarf Hans Globke, Adenauers „allmächtiger Staatssekretär und Herrscher über den BND“, die Operation „Geschäftsfreund“.
„Bei der Operation ‚Geschäftsfreund‘ hat man total im Geheimen gearbeitet, es wurde nicht einmal der Finanzminister eingeweiht, auch das Parlament nicht. Es ist alles über 10 Jahre geplant gewesen, was ein Bundeskanzler eigentlich gar nicht darf. Das Auswärtige Amt hatte auch ganz massive staatsrechtliche Einwände gehabt. Es ging insgesamt um 2 Milliarden D-Mark, im Endeffekt wurden 630 Millionen D-Mark innerhalb von fünf Jahren ausgezahlt. Das war damals unglaublich viel Geld. Dazu kam, dass dann die Wissenschaftler nach Israel gefahren sind und dort am Atomprogramm mitgewirkt haben. Dieselben Wissenschaftler, die unter Adolf Hitler im Uranverein waren und dort an der Atombombe gearbeitet haben, haben ab 1959-60 in Israel an denselben Plänen weitergemacht. Alles natürlich streng geheim.“
Im Kernforschungszentrum Negev in der israelischen Stadt Dimona entstand fortan mit deutschem Geld und Fachwissen das israelische Atomprogramm. „Das schwere Wasser kam aus Norwegen, wo es die Nazis während des Zweiten Weltkrieges produziert hatten. Das Uran lieferte, mit Wissen der USA, die Argentinische Atomkommission (CNEA). Sie war nach 1945 von Nazi-Wissenschaftlern aufgebaut worden“, erklärt Weber in ihrem Film.
Dass zumindest die Westmächte trotz Israels Geheimhaltung und Dementi von Anfang an im Bilde und sogar involviert waren, führt zu der Frage: Warum wurde die Öffentlichkeit so lange darüber getäuscht?
„Es ist schon ein bisschen komisch, wenn Israel mit dem Argument der Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg sich von Deutschland Massenvernichtungswaffen finanzieren und bei dem Bau helfen lässt. Es ist sehr merkwürdig, wenn man sich überlegt, was da eigentlich im Gange ist. Es gab verschiedene Abkommen, um die Opfer zu entschädigen. Das ist auch richtig so. Aber dass man ein geschehenes Unrecht wiedergutmachen will, indem man diesem Staat eine Massenvernichtungswaffe zur Verfügung stellt, kann es doch nicht gewesen sein!“
Auch die Wiener Atombehörde trage eine Mitschuld, denn sie habe nie wirklich versucht, Dimona internationalen Kontrollen zu unterwerfen. Israel ist bis heute kein Vertragspartner des Atomwaffensperrvertrages. Es kann nur geschätzt werden, über wie viele Massenvernichtungswaffen das Land aktuell verfügt.
„Die israelische Regierung spielt auch ein doppeltes Spiel: Auf der einen Seite äußert sie sich nicht dazu, auf der anderen Seite ist es schon Teil ihrer Verteidigungsstrategie. Bei den U-Booten, die sie in den letzten Jahren von den Deutschen praktisch geschenkt bekommen haben, ist ganz klar, dass eine nukleare Strategie dahinter steht. Man weiß schon, dass in Israel die Atombombe da ist, aber man unterwirft sich den Kontrollen nicht. Das ist eine völlige Doppelzüngigkeit von den westlichen Regierungen, wenn man sagt: Es gibt Länder, denen wir die Atombombe erlauben, und solche, denen wir sie nicht erlauben. Vor kurzem ist von der US-Regierung das Iran-Abkommen gecancelt worden. Die Experten haben gesagt, dass sich die Iraner doch eigentlich daran gehalten haben und es eine gute Möglichkeit gewesen wäre, zu verhindern, dass in einer hochexplosiven Region Kernwaffen entwickelt werden. Stattdessen ist hier eine Doppelzüngigkeit im Gange und für uns Journalisten finde ich es ein Drama, dass wir da mitspielen. Es gibt keine guten Atombomben! Atombomben sind immer Massenvernichtungsmittel.“
Einsicht oder Unterstützung habe sie von der deutschen Regierung oder den im Parlament vertretenen Parteien für ihre Arbeit zum Thema israelische Kernwaffen nie erfahren, sagt die Journalistin. Damit die Wahrheit ans Licht kommt und sich etwas ändert, fordert sie alle Kollegen auf, sich in die Archive zu begeben und selbst nach der Wahrheit zu suchen.