Ein Artikel aus der Märkischen Allgemeinen Zeitung MAZ über das Wirken des Atomwissenschaftlers Peter Adolf Thiessen im Wald (Glöwener Weg) zwischen Damelack (Ostprignitz) und Glöwen (Prignitz) in der Zeit von 1957 bis 1979!
Ob man(n) DAS ALLES, wie die GESCHICHTE um LOTTE ULBRICHT, GLAUBEN kann und darf!?
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Revier im Damelacker Forst
Russlands Atombomben: Wissenschaftler jagte in OPR
Russlands Atomwaffen gehen zurück auf die Sowjetunion der 1940er. An deren erster Atombombe wirkten Wissenschaftler aus dem besiegten Deutschland mit. Einer war Peter Adolf Thiessen. An ihn erinnern sie sich in Damelack (Amt Neustadt) bis heute. Auch wegen Weihnachten.
Matthias Anke
17.12.2023,
Breddin. Tarnung ist alles. Jäger wissen das. Ganz sicher auch Peter Adolf Thiessen, der wohl am häufigsten und höchsten ausgezeichnete Zivilist der DDR.
„Der Professor sah immer unscheinbar aus, wie einer von den Waldarbeitern“, erinnert sich Inge Ewald aus dem kleinen Ostprignitz-Ruppiner Dorf Damelack (Gemeinde Breddin). Die 88-jährige Ortschronistin tippt auf ein Schwarz-Weiß-Foto in ihrem Familienalbum. Es stammt aus den 1970er Jahren und zeigt Thiessen, wie er vor vor ihrem Haus nah am Waldrand mit einem Pkw-Anhänger hielt. Darin lag ein Hirsch. „Links, das ist meine Mutter“, sagt Inge Ewald über eine der Frauen, die fröhlich Thiessens Beute besehen.
Peter Adolf Thiessen war Mitglied in der NSDAP, SA und SS
In diesem Breddiner Dorf ganz im Westen des Landeskreises wird stets nur vom „Professor“ geredet, wenn es um Thiessen geht, den die meisten wie „Thyssen“ aussprechen. Ein Jäger, der ein Wissenschaftler war und dessen Name in etlichen Abhandlungen fällt – selbst, wenn es um die Entwicklung der Atombombe geht.
Der Chemiker Thiessen trat bereits 1922 in die NSDAP ein und 1923 in die Göttinger Sturmabteilung (SA). 1935 wurde er „förderndes Mitglied“ der SS, kurz darauf Direktor des Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin-Dahlem.
Thiessen soll auch an Giftgas geforscht haben. Inwieweit, ist allerdings umstritten. Belegt sein soll zumindest eine Besprechung mit SS-Mitgliedern, die an Menschenversuchen auf dem Gebiet der biologischen und chemischen Kriegsführung arbeiteten. Am Ende bekam er das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP.
Nach dem Krieg wurden Spezialisten um Raketenwissenschaftler Wernher von Braun von den Alliierten nach Amerika mitgenommen. Dort war die Angst schon lange groß, die Nazis könnten als erste eine funktionstüchtige Atombombe bauen. Wurde die Kernspaltung doch 1938 von Otto Hahn am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin entdeckt. Das Institut, dessen Abteilung für physikalische Chemie und Elektrochemie Thiessen leitete.
Die erste Detonation einer Atombombe erfolgte aber erst nach den Forschungen von Physiker Robert Oppenheimer und dem „Manhatten-Projekt“ am 16. Juli 1945 in den USA, gefolgt von den beiden bisher einzigen Kriegseinsätzen am 6. und 9. August desselben Jahres im japanischen Hiroshima und Nagasaki.
Für andere deutsche Wissenschaftler ging es derweil in die Sowjetunion. Laut Deutsche-Biografie.de auch für Thiessen mit Unterstützung von Manfred von Ardenne, der an der Erfindung des elektronischen Fernsehens beteiligt war. Die Nuklearforscher beteiligten sich am sowjetischen Atombombenprogramm. Speziell Thiessens Team entwickelte Trennwandfilter zur Herstellung von Uran 235.
Chemiker Thiessen bekam höchste Auszeichnung der Sowjetunion
Neben Ardenne und Thiessen waren weitere namhafte deutsche Forscher dabei, etwa Nikolaus Riehl, Gustav Hertz, Max Steenbeck, Max Volmer. Insgesamt sollen für das sowjetische Atombombenprojekt knapp 100 deutsche „Atom-Spezialisten“ aus der sowjetischen Besatzungszone mit ihren Familien in die Sowjetunion gebracht worden sein, dazu technische Anlagen des deutschen Uranprojekts eben auch von den Kaiser-Wilhelm-Instituten.
Am 29. August 1949 zündeten die Sowjets im kasachischen Semipalatinsk ihre erste Atombombe. Und Thiessen erhielt 1951 den Stalinpreis ersten Grades, die höchste Auszeichnung der UdSSR für Zivilbürger.
1956 nach Ostberlin zurückgekehrt, wurde er Gründungsdirektor des Instituts für Physikalische Chemie, Vorsitzender des Forschungsrats der DDR, Mitglied der Akademie der Wissenschaften.
Er bekam den Nationalpreis, das Banner der Arbeit und den Vaterländischen Verdienstorden in Gold plus Ehrenspange.
Lenin-Orden, Karl-Marx-Orden und Helmholtz-Medaille plus Ehrenspange gehören ebenso zu den Auszeichnungen Thiessens, der Mitglied des Staatsrats der DDR war.
Dessen Vorsitzender Walter Ulbricht habe Thiessen als nur eine von vielen Annehmlichkeiten die „Genehmigung erteilt, eine Jagd in Damelack im Kreis Kyritz zu pachten“. So steht es in der Publikation des Militaria Sonderhefts von 2012 mit dem Titel „Peter Adolf Thiessen. Ein Wissenschaftler in fünf verschiedenen Gesellschaftsordnungen und seine Auszeichnungen“.
Das Heft gab es unlängst obendrauf bei der Versteigerung seines Karl-Marx-Ordens für 2400 Euro. Online steht dazu: „Datiert Berlin am 6. April 1989, mit Prägesiegel und Unterschrift von Erich Honecker.“ Der Orden wurde Thiessen aus Anlass seines 90. Geburtstags verliehen. Im Jahr darauf, kurz nach dem Mauerfall, starb der wohl höchsten ausgezeichnete Zivilist der DDR.
Thiessen erste Frau kam 1968 bei einem Autounfall zwischen Breddin und Stüdenitz ums Leben. Sie hinterließ ihm drei Kinder. Über Nachfahren seiner zweiten Frau sollen mehrere private Sachen wie jener Orden nun veräußert worden sein, mutmaßt einer derer, die heute im früheren Forsthaus am Glöwener Weg in Damelack leben. Dort, wo Thiessen weilte, wenn er in Damelack war.
Eine Legende erzählt davon, wie Thiessens Frau und ihre Freundin Lotte Ulbricht, die Frau des Staatsratsvorsitzenden also, sich in diesem Wald verliefen. „Um privat zu reden, alleine zu sein, sollten sich die Bodyguards entfernen“, erzählt Dietrich Schade. Der Kyritzer ist ebenfalls 88 Jahre alt und war als junger Mann bereits in Damelack unterwegs, ehe er nach der Wende viele Jahre lang der Revierförster dort wurde.
Während Frauen aus Damelack mit Töpfen klopfend im Wald suchten, erreichten die Vermissten ein früheres Forsthaus namens Rotes Haus, auch Rothehaus genannt. Dort riefen sie das Volkspolizei-Kreisamt an. Doch auf „Hier ist Lotte Ulbricht“ soll gefolgt haben: „Und ich bin der Kaiser von China.“ Aufgelegt! Lotte Ulbricht habe später dafür gesorgt, dass jener Diensthabende sein Amt verlor.
Schriftlich überliefert indes ist heute nur, was in Inge Ewalds Dorfchronik über Peter Adolf Thiessen steht: „Als Anerkennung für seine Leistungen in der Forschung, die er in der Sowjetunion ausübte, wurde dem Professor das Sonderjagdgebiet Damelack zugesprochen. Er bewohnte das Jagdhaus in den Jahren 1957 bis 1979.“
Er sei „ein leidenschaftlicher Jäger und sehr mit der Natur verbunden“ gewesen, steht geschrieben. Und: „Professor Thiessen hatte immer ein Herz für die Damelacker Kinder. So spendete er jedes Jahr zu Weihnachten 500 Mark, um für die Kinder ein Fest zu feiern.“ Heute ist bekannt, dass Thiessen als einer der privilegiertesten Wissenschaftler der DDR zeitweilig das höchste Gehalt bekam. Die Rede ist von 15.000 Mark monatlich.
Quellort: MAZ-online
Foto 1:
Atombombenentwickler Peter Adolf Thiessen in den 1970er Jahren in Damelack. Hier mit Frauen aus dem Dorf (links die Mutter von Inge Ewald) an einem Pkw-Anhänger, in dem ein kapitaler Hirsch liegt.
© Quelle: privat
Foto 1a:
Peter Adolf Thiessen war auch Mitglied des Staatsrates der DDR und Vorsitzender des Forschungsrats der Regierung.
© Quelle: Junge, Peter Heinz