Leserbrief vor 2 Tagen in der TA von Johannes Sänger aus Eisenach
**Konträre Ansichten können friedlich nebeneinander existieren**
Leserpost :
Eine Demokratie sollte aushalten, dass verschiedene Argumente diskutiert werden und nicht Gegensätze vertieft werden.
Ein Eisenacher äußert sich zu den jüngsten Demonstrationen:
Es wird, meist von Politikern, gefordert, dass sich die Zivilgesellschaft verstärkt Gehör verschaffen müsse. Lauter werden gegen die, die auf der Straße sind. Das übersieht, dass die, die auf die Straße gehen, auch Teil dieser Zivilgesellschaft sind!
Dieser Teil geht auf die Straße, weil es momentan kaum eine Möglichkeit gibt, auf sich aufmerksam zu machen! Und viele von denen, machen das wohl überlegt. Es sind dabei gar nicht so sehr die schon alltäglichen Corona-Beschränkungen und die häufig aus infektionsprophylaktischer Sicht nicht zu begründenden 2G-Regelungen, die zum Protest führen. Es ist viel mehr die Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht, die entgegen aller Wahlversprechen kommentarlos hingenommen wird.
Die zunehmende Zahl protestiert, weil damit das elementare Recht auf körperliche Unversehrtheit und damit eine wesentliche Säule unseres Grundgesetzes in Gefahr ist. Und es ist zum Teil auch ein Protest von Beschäftigten aus dem Gesundheitswesen und die Solidarität mit ihnen.
Menschen aus systemrelevanten Berufen, die aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht ab dem 16. März ihrer Tätigkeit in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Arztpraxen nicht mehr nachgehen können und an der Ausübung ihres Berufes, und häufig auch ihrer Berufung, gehindert werden. Es ist also auch der Protest gegen eine politische Entscheidung, die Belastung und Überlastung gerade im pflegerischen Bereich weiter erhöhen wird.
Darüber hinaus heißt es pauschal, man solle sich distanzieren von denen, die auf die Straße gehen, solle deren politische Ausrichtung beachten. Aber wäre es nicht wichtiger denn je aufeinander zuzugehen? Gespräche suchen, Diskussionen führen, die Argumente des Anderen hören? Und eben nicht weiter die Spaltung der Gesellschaft zu vertiefen? Ist es nicht ein elementares Kennzeichen der Demokratie, dass verschiedene Meinungen und konträre Ansichten friedlich nebeneinander existieren können? Und überhaupt, wer ist denn „auf der Straße“?
Jeder, der selbst einmal vor Ort war, konnte sich ein Bild davon machen: Es sind zu einem großen Teil Menschen aus der sogenannten Mitte. Menschen also, die solidarisch alle bisherigen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus mitgetragen haben. Menschen, die nun aber alarmiert sind vom politischen Kurswechsel, die skeptisch sind gegenüber einer Impfung, die keinen vollständigen Eigen- und Fremdschutz bietet und in Abständen wiederholt werden muss. Es wird von einer kleinen Minderheit der Impfgegner und Impfskeptiker gesprochen. Dabei handelt es sich um 15 Millionen Erwachsene und damit um ein Fünftel der Bevölkerung. Viele derer, die „auf die Straße gehen“ haben die Bundestagsabgeordneten ihres jeweiligen Wahlkreises angeschrieben, haben nach Verlässlichkeit von Wahlversprechen und Notwendigkeit von Restriktionen gefragt. Es gab darauf überwiegend keine Reaktionen. Wie soll man in einer Demokratie sein Anliegen vermitteln? Wie soll man gehört werden von denen, die Beschlüsse fassen? Wie sollen Menschen friedlich protestieren, wenn nicht in einem Akt zivilen Ungehorsams? Wie also sollen Menschen sich Gehör verschaffen, wenn nicht durch „auf die Straße gehen“?
Johannes Sänger, Eisenach